Gedanken zum Bewertungsansatz von überfrankierten Belegen an Beispielen der Währungsreform 1948 in der Bizone
Es gibt Themen in der Philatelie, die schon immer sehr intensiv diskutiert wurden.
Dazu gehört auch die wertmäßige Beurteilung von nicht portogerecht freigemachten Belegen.
Die Meinungen hierzu, das zeigen mir zumindest meine Erfahrungen aus Gesprächen auf Tauschtagen, Diskussionen in
philatelistischen Foren und auf sonstigen Veranstaltungen, gehen dabei weit auseinander.
Von totaler Ablehnung in Richtung „Preis für gestempelt und nicht mehr“, über eine Orientierung an Katalogen, bis zur Erkenntnis, dass der philatelistische Markt von Angebot und Nachfrage unter Berücksichtigung seiner Transparenz den Wert bestimmt, reicht da die Argumentationskette.
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich gerne an möglichst klar definierten Größen orientieren kann. Das ist in der Philatelie nicht anders.
Aber eine Bewertung von Belegen fest an fremd- oder selbstdefinierten Taxierungen auszurichten, ohne dabei den einzelnen Beleg näher zu betrachten, ist aus meiner Sicht falsch.
Man mag in der Höhe der Bewertung eines Beleges sicherlich unterschiedlicher Meinung sein, das ist so in Ordnung.
Für mich sind aber z. B. überfrankierte Belege im Zusammenhang mit der Währungsreform 1948 nach Klärung der folgenden Fragen spezifisch zu betrachten:
- liegt unstrittig Bedarfsverwendung vor?
- wurde die Frankierung philatelistisch beeinflusst?
- wurde der Aufgabestempel in Zeitnähe zum Zeitpunkt der Ungültigkeit von Postwertzeichen oder einer Postgebührenänderung abgeschlagen?
- würde bei der aufgebrachten Frankatur durch Fehlen einer der verklebten Marken eine Unterfrankierung vorliegen?
Ich gehe davon aus, dass Unternehmen und Menschen grundsätzlich ökonomisch denken und handeln.
Somit dürfte zwar ein Interesse bestehen, vor Frankaturungültigkeit oder Postgebührenänderung die vorhandenen Postwertzeichen möglichst portogerecht aufzubrauchen, aber auch aufgrund der im Besitz befindlichen Nominalen, insbesondere vor Ungültigkeit der Marken, eine Überfrankatur hinzunehmen.
In Bezug auf die katlogmäßige Bewertung von Belegen ergeben sich, je nachdem ob portorichtig oder überfrankiert, nicht unerhebliche Differenzen.
Dies möchte ich beispielhaft an dem folgenden Brief, der mit 3 Pfennig überfrankiert wurde, zeigen.
→ Porto-Soll für R-Fernbrief Inland der 2. Gewichtsstufe = 60 Pfennig Einschreiben + 48 Pfennig = 108 Pfennig
→ Porto-Ist = 111 Pfennig
Abb. 1, 2: Vorder- und Rückseite des Briefes – Aufgabestempel „Münster (Westf.) 1 m 31.7.48 – 18“ – Rückseitig AK-Stempel „Lippstadt 1 -1.8.48 – 16“ und Prüfsignum
Bewertet man die Bunt-/Mischfrankatur streng unter Berücksichtigung von katalogisierten Kriterien, ist das Folgende zu beachten:
„…Als portogerecht frankiert gelten alle Postbelege mit einer exakt tarifgemäßen Frankatur…Der Preis gilt für die teuerste der auf dem Postbeleg befindlichen Marken. Weitere Marken werden mit dem Preis für lose O hinzugerechnet….Überfrankaturen,…, werden nur mit einem Aufschlag von maximal 15 % für die beste Marke auf den O-Preis bewertet. Weitere Marken werden mit den normalen O-Preis hinzugerechnet.“[1]
Unter Berücksichtigung der mir zur Verfügung stehenden Kataloge ergeben sich folgende Notierungen:
[1] Michel – Briefe Deutschland 2016/2017, Schwaneberger Verlag GmbH, Unterschleißheim 2016
Marke Bewertung auf Brief Bewertung als Einzelmarke
57 II – 15 Pf 140,- € 65,- €
55 I --12 Pf 120,- € 70,- €
68 II – 84 Pf 35,- € 17,- €
Bewertung (Fiktiv) als portogerecht: 140,- € + 70,- € + 17,- € = 227,- €
Bewertung als überfrankiert: 80,50 € (max.) + 65,- € + 17,- € = 162,50 €
Differenz ≈ 28,41 % = 64,50 €
Sonstige Bewertungskriterien (Erhaltug, Verwendungsform u.s.w.) blieben bei der Berechnung unberücksichtigt.
Wer in Besitz eines Absenderfreistemplers war, konnte damit direkt portorichtig frankieren, alternativ dazu aber auch die Provisorien vor dem Ende der Gültigkeitsdauer aufbrauchen.
Abb. 3: Absenderfreistempel mit Werbeeinsatz als Zehnfachfrankatur – gestempelt „Fulda 21 6 48“ – 24 Pfennig für Fernbrief Inland bis 20 g
Abb. 4: Portogerechter Fernbrief Inland – Frankiert mit einer 40 II, entwertet mit Aufgabestempel „ Brackwede (Westf) 2.9.48“ - zusätzlicher Absenderfreistempel „(21a) Brackwede (Westf) 02 9 48“ mit Werbeeinsatz – 20 Pfennig Fernbrief Inland bis 20 g
Aus postgeschichtlicher Sicht ist bei der Bewertung von Belegen der Währungsreform meines Erachtens die Zeitnähe zur Ungültigkeit der Postwertzeichen und der Postgebührenänderung in der Bizone wie folgt zu berücksichtigen:
- Ende der Verwendung von Gemeinschaftsausgaben zum RM-Tarif am 21.6.48 aus der 1. Briefkastenleerung
- Frankaturgültigkeit der Gemeinschaftsausgaben als Zehnfachfrankatur mit Ende am 23.6.48 aus der 1. Briefkastenleerung
- Neue Portoperiode ab 1.9.48
- Ende der geplanten Frankaturgültigkeit der Provisorien am 12.9.48 bzw.
- Ende der endgültigen Frankaturungültigkeit der Provisorien am 19.9.48
Ende der Verwendung von Gemeinschaftsausgaben zum RM-Tarif am 21.6.48 aus der 1. Briefkastenleerung
Marken der Gemeinschaftsausgaben konnten gemäß der 1. Durchführungs-VO zum Gesetz Nr. 61 (Währungsgesetz) noch vollwertig verwendet werden.
§ 2. Postwertzeichen…………
(2) Postsachen, die von der Post aus einem Briefkasten nicht später als bei der ersten Entleerung des 21. Juni 1948 entnommen werden, gelten als ordnungsgemäß freigemacht, soweit ihre Freimachung den bisherigen Vorschriften entspricht.
Im vorherigen Rundbrief 47 hatte ich einen mit 8 Rpf überfrankierten (24 statt 16 Rpf) Brief bis 20 g, gestempelt am 21.6.48, gelaufen im Ortsverkehr Hagen, vorgestellt.[1]
Nachfolgend zeige ich einen mit 2 Rpf überfrankierten Brief mit Aufgabestempel vom Samstag, dem 19.6.1948 – 18 Uhr, 2 Tage vor der Währungsreform:
[1] G. Pagel, Eilbotenzustellung als Zehnfachfrankatur am 23.6.1948 aus dem Briefkasten in: Rundbrief 47, ArGe Alliierter Kontrollrat 1946/48 e.V., S. 69
Abb. 5: Mit 2 Pfennig überfrankierter Wertbrief der 2. Gewichtstufe - Statt 268 Rpf wurde mit 270 Rpf frankiert.
Postgebührenberechnung:
Brief Inland 20 – 250 g = 48 Pfennig
Eilzustellung = 80 Pfennig
Wertbrief 100-500 Mark = 120 Pfennig
Wertbrief weitere 500 Mark = 20 Pfennig
268 Pfennig
Ende der Frankaturgültigkeit der Gemeinschaftsausgaben als Zehnfachfrankatur am 23.6.48 aus der 1. Briefkastenleerung
Vom 21.6. an waren aufgrund der Verordnung Nr. 1 zum Währungsgesetz neben den neu verausgabten Provisorien der I. und II. Kontrollratsausgaben die alten Marken mit 1/10 ihrer Nominale frankaturgültig, allerdings zeitlich begrenzt bis zum 23.6. aus der 1. Briefkastenleerung.
§ 2. Postwertzeichen (1) vom 21. Juni an gelten folgende Postwertzeichen:
……………………..
3. Briefmarken der bisher gültigen Ausgaben, deren Wert in Deutsche-Mark-Währung auf ein Zehntel des in Reichsmark oder Reichspfennig aufgedrückten Nennbetrages festgesetzt wird.
Abb. 6, 7: Mit 5 alten RPf überfrankierte Postkarte als Zehnfachfrankatur mit Aufgabestempel „München 38 23.6.48-9 Uhr“ - 12 Pfennig Postkarte Inland
Neue Portoperiode ab 1.9.48
Bedingt durch die Postgebührensenkungen der Portoperiode ab 1.9.1948 war sicherlich durch den vorhandenen Bestand an Marken nicht immer eine portogerechte Frankierung möglich.
Beispiel vom Ersttag der neuen Portperiode:
Abb. 8: Mit 4 Pfennig überfrankierter Fernbrief Inland mit Aufgabestempel „(20 a) Hannover 2 a 01.9.48-17“ - 20 Pfennig Fernbrief Inland bis 20 g
Ende Frankaturgültigkeit 12.9.48 bzw. 19.9.48
Ursprünglich war vorgesehen, die Gültigkeit der mit Posthörnchen überdruckten Marken der I. und II. Kontrollratsserien am 12.9.1948 enden zu lassen.
Diese Frist wurde allerdings um 1 Woche bis zum 19.9.1948 verlängert.
Die Bevölkerung war sicherlich nicht immer aktuell informiert.
„Glockenschlag 12 in der Sonntagsmitternacht des 12. September werden einige Millionen deutscher Briefmarken das Nachwährungsreformzeitliche segnen. Aber schon zwölf Tage vorher, am 1. des Monats, sollen ihre postalischen Nachfahren [gemeint sind die Marken der Bautenserie; d. Autor] an den Schaltern feilgeboten werden. ……Nun werden bald auch die normal postgehörnten Marken nur noch in den Alben der Sammler ein gepreßtes Dasein führen. 12 Tage ab kommenden Ultimo haben die Westdeutschen noch Zeit, Markenvorräte dieser Art aufzubrauchen.“[1]
In Anbetracht der bevorstehenden Ungültigkeit der Provisorien, ursprünglich zum 12.9.1948 und endgültig zum 19.9.1948, wurden die vorhandenen Marken häufig nicht portogerecht aufgebraucht.
[1] Der Spiegel, 2. Jahrgang 1948, Nr. 35 vom 28. August 1948, Seite 27
Abb. 9: Mit 2 Pfennig überfrankierter Fernbrief Inland mit Aufgabestempel „Köln-Ehrenfeld b 9.9.48“ - 20 Pfennig Fernbrief Inland bis 20 g
Abb. 10: Mit 2 Pfennig überfrankierter Ortsbrief bis 20 g - Maschinentempel mit 2 unterschiedlichen Unterscheidungsbuchstaben (UB) „(23) Bremen 5 yy zz 11.9.48-19“ – 10 Pfennig für Brief im Ortsverkehr bis 20 g
Alternativ gab es aufgrund der ab Mitte August 1948 verwendeten Marken „Kölner Dom“ bzw. ab 1.9.48 verausgabten Freimarken der Bautenserie die Möglichkeit, diese mit den Provisorien zwecks Aufbrauch bis zum 19.9.48 zu kombinieren.
Dies erfolgte allerdings auch nicht immer portogerecht, wie folgende Mischfrankatur mit Marken aus den Serien Bandaufdruck, Kölner Dom und Bauten dokumentiert:
Schlussbetrachtung
Mir ist bewusst, dass die Bewertung von überfrankierten Belegen kontrovers diskutiert wird.
Das wird und sollte auch nach meiner Meinung weiterhin so bleiben.
Allerdings halte ich einen allgemeinen Hinweis zum Bewertungsansatz bei Aufbrauchverwendung unter Berücksichtigung des Verwendungszeitraumes im zeitlichen Zusammenhang zu einer Postgebührenänderung und insbesondere einer Außerkurssetzung von Marken als sinnvoll.
Alles andere regelt, wie von mir schon anfangs angeführt, der Markt.
In meiner privaten Eingangspost mit philatelistischem Hintergrund findet sich gelegentlich überfrankierte Bedarfspost.
Diese Belege wurden teilweise oder auch gänzlich anhand von Marken mit Doppelnominale (DM/Euro) freigemacht.
Diese Marken sind weiterhin frankaturgültig.
Abb.13 : Aktueller Fensterbrief aus dem Bedarf (Ausschnitt) – mit 1 Cent überfrankiert (Bund 2218 und 2471) – gestempelt „ Briefzentrum 76 20 -2 18 – 21“ - 70 Cent für Standartbrief
Eine für die Postgebühr auf Cent genaue Verwendung ist aufgrund der seit der Währungsumstellung von DM auf Euro und der seit dieser Zeit erfolgten Änderungen der Postgebühren meist nur unter Verwendung von Automatenmarken möglich.
Für mich sind diese Belege gelebte Postgeschichte, 17 Jahre nach der Währungsumstellung, die keine Währungsreform war, aber gleichwohl finanzpolitische Folgen hatte.
Aber das wäre ein anderes Thema.