Auslandsbrief in die Schweiz mit Tagesstempel vom 27.6.1948 zum alten RM-Tarif und handschriftlichen Vermerken in der Kurzschrift Stolze-Schrey
Den folgenden Auslandsbrief möchte ich vorstellen, weil er mir mehrfach als interessant erscheint.
Absender des Briefes war Frau Martha Müller-Zitzke aus Bodenfelde/Weser in der Britischen Zone, Empfänger ein Prediger, Herr Kaspar Schneiter in Thalwill/Schweiz.
Bei Frau Müller-Zitzke (1899 – 1972) handelt es sich um eine Dichterin christlichen Liedgutes, die in Bodenfelde lebte.
Auffallend ist auf dem ersten Blick, dass Frankatur und Stempelabschlag eigentlich so nicht möglich waren.
Frankiert wurde mit Marken der I. und II. Kontrollratsausgabe, in Summe mit 50 Pfennig folglich portorichtig für einen Auslandsbrief bis 20 g in der Portoperiode vom 15.9.1947 bis 31.8.1948.
Das war mit diesen noch mit Reichsmark erworbenen Marken bis einschließlich 21.6.1948 aus der ersten Briefkastenleerung so möglich.
Nachfolgend, bis 23.6.1948 (Erste Briekastenleerung), war die Verwendung lediglich im Zusammenhang mit einer Zehnfachfrankatur noch möglich.
Ansonsten musste mit den neuen, mit Posthörnchen im Band- oder Netzaufdruck überdruckten und in DM zu zahlenden Marken, frankiert werden.
War das Datum 27.6.48 am Stempelgerät irrtümlich falsch eingestellt?
Nach meiner Meinung sicherlich, denn bei den vermutlich vom Empfänger des Briefes auf der Vorderseite des Briefes aufgebrachten Bearbeitungsnotizen dürfte es sich um eine zu dieser Zeit oft gängigen Verfahrensweise handeln. Die im oberen Bereich befindlichen Datumstempel weisen den 22. und 24. Juni 1948 aus.
Bei den in roter und blauer Schrift geschriebenen Vermerke dürfte es sich um die Kurzschrift Stolze-Frey handeln.
„… Nach Einigungsverhandlungen kam es zu einem Zusammenschluss der beiden Stenografiesysteme Stolze und Schrey. Der Entwurf der "Vereinfachten deutschen Stenographie, Einigungssystem Stolze-Schrey" wurde am 9. August 1897 in Berlin angenommen und in einer Systemurkunde festgelegt. In den Systemen Schrey und Stolze-Schrey wurde die reine Auslautvokalisation durchgeführt. Das System Stolze-Schrey fand weite Verbreitung, besonders in Norddeutschland, und nimmt heute in der deutschsprachigen Schweiz den ersten Platz ein. …“[1]
Abb. 3,4: (Links) August Wilhelm Heinrich Stolze (1798-1867) und (Rechts) Ferdinand Schrey (1850-1938)
Bei generellem Interesse an der Kurzschrift Stolze-Schrey oder dem Wunsch der Übersetzung der Notizen auf den von mir vorgestellten Belege, ist es sicherlich hilfreich, sich eine Systemübersicht der Kurzschrift zu verschaffen.[1]
[1] Systemübersicht in: Geschichte der Kurzschrift Geschichte der Kurzschrift
www.steno.ch, (Abruf am 28.01.2019)
Abb. 5: Schriftprobe des Einigungssystems Stolze/Schrey[2]
Recht herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Sandra Bernhard vom Schweizerischen Stenografenverband Stolze/Schrey (SSV), die mir ergänzend folgendes mitteilte:
Dass die Stenografie während/kurz nach dem WK II „speziell in christlichen Kreisen“ verwendet wurde, ist uns nicht bekannt. Zwar gibt es Gebetbücher in Steno und wurden auch Predigten stenografiert, aber ganz vorwiegend wurde die Steno im Parlament, am Gericht und im kaufmännischen Bereich angewendet. Bekanntlich hat ein Stenograf beim Hitler-Attentat das Leben verloren.
[2 Reber-Alge, Hermann: Geschichte der Stenographie in der deutschen Schweiz, Verlag des Allgem. Schweiz. Stenographenvereins, Wetzikon-Zürich, 1909